Tote Gänseblümchen und Vampire
“Die Hollywood Vampires kommen zum Hessentag und spielen dort ihr einziges Deutschlandkonzert!”, hieß es eines Tages im April im Radio, als ich von der Arbeit nach Hause fuhr. Sofort war mir klar: Da MÜSSEN wir hin. Es handelt sich bei dieser Band nicht nur um ein Projekt von Sänger Alice Cooper und Gitarrist Joe Perry von Aerosmith – kein geringerer als Johnny Depp steht ebenfalls an der Klampfe!
Glücklicherweise stellte sich zudem noch als Veranstaltungsort Herborn heraus – zur Abwechslung wirklich nur ein Katzensprung von uns entfernt. Schnell waren zwei “Front of Stage” Tickets gesichert und somit freuten wir uns auf den letzten Sonntag im Mai.
Die Band vor der Anheizerband “The Dead Daisies” waren “Herzog & Aurich”, ein deutsches Projekt, welches zwei Musikgenres miteinander kombiniert: Rock und Electro. Eine Kombination, die nicht jedermanns Sache ist, wie die Protagonisten erfahren mußten:
“Wo sind die Rock-Fans?” *großer Jubel* –
“Wo sind die Electro-Fans?” *Grillenzirpen, vereinzeltes Klatschen*
Damit wäre auch die Problematik der Gruppe zusammengefaßt. Das Zusammenspiel aus sich ewig wiederholenden Elektrobeats der DJs mit ein wenig E-Gitarre und E-Cello ist einfach ungewohnt. Das Konzept mag einzigartig sein und findet gewiß seine Zielgruppe, für das Herborner Publikum war es jedoch schlichtweg unpassend.
Jetzt ist es an der Zeit, unsere Meinung zu revidieren, denn “The Dead Daisies” waren auf dem Hessentag ein echtes Highlight. John Corabi stand nicht eine Sekunde still, lief auf der Bühne und auf dem Steg davor hin und her, suchte immer wieder den Publikumskontakt und hatte die Masse von Anfang an im Griff. Innerhalb der Band gab es auch Veränderungen, wie z.B. Gitarrist Doug Aldrich, der bereits bei Dio und Whitesnake spielte. Sie waren so gut, dass an unserer Pinnwand nun eine Eintrittskarte für ein Konzert der kommenden Headliner-Deutschlandtour hängt. Nach diesem tollen Auftakt war die Menge angeheizt und mehr als bereit für den Hauptact, der um ca. 21:30 Uhr die Bühne betrat. Als im Bühnennebel die Silhouette von Johnny Depp erkennbar war, gab es in unserer Ecke kein Halten mehr; die Mädels begannen zu kreischen und ein Meer von Smartphones richtete sich auf die linke Bühnenseite. Diese Seite erwies sich in der Tat als goldrichtige Wahl, denn Mr. Depp lief zwar durchaus auf der Bühne umher, verbrachte jedoch die meiste Zeit an seinem Platz der linken Bühnenhälfte. Mit “Raise the Dead” starteten die Hollywood Vampires direkt durch und gaben die musikalische Richtung des Konzerts vor: Guten alten, klassischen Rock. Alice Cooper war bestens bei Stimme und warf direkt während der ersten Lieder einen Stock ins Publikum. Allerdings war er nicht völlig sein Bühnencharakter, denn üblicherweise nimmt “Alice Cooper” kaum Kontakt zum Publikum auf. Vincent Furnier, geschminkt als Alice Cooper, spricht jedoch durchaus mit der Menge, macht Ansagen und lacht teilweise sogar mit seinen Mitmusikern. Und auch diese sind hochkarätig: Aus seiner eigenen Band holte Alice Tommy Henriksen an der Gitarre ins Boot, sowie Matt Sorum am Schlagzeug (Guns ‘N Roses), Roberto DeLeo am Bass (Stone Temple Pilots) und Bruce Witkin an Keyboard und Gitarre. Die Mission der Hollywood Vampires ist es, alte Klassiker der Rockmusik wieder auszugraben: Die Jugend lernt sie somit kennen, die Älteren feiern sie einfach ab. Die Setlist liest sich wie das “who-is-who” der Rockmusik: The Doors, The Who, Jimi Hendrix, T-Rex, Led Zeppelin, Die Beatles: Unsterbliche Bands, deren Songs die Band souverän runterspielte und vor allen Dingen zeigte Johnny Depp, dass er sein Instrument beherrscht.
Der während des Konzerts einsetzende Regen hielt Alice nicht davon ab, auf dem Steg hin und her zu laufen und sogar einen ganzen Song im Regen zu singen. Zwischendurch erzählte er die Geschichte der “Hollywood Vampires”: Ursprünglich ein Club für Rockmusiker, die sich exzessiv betranken und deren letzter Überlebender Alice Cooper ist. Tribut zollt er seinen “Dead Drunk Friends” in einem gleichnamigen Song. Direkt im Anschluß und thematisch passend, wurde Motörhead’s “Ace of Spades” zum Besten gegeben, kraftvoll interpretiert von Drummer Matt Sorum, der Deutschland als “Motörhead-Land” würdigte.
Auch der im Frühjahr verstorbene David Bowie zählt zu den Legenden der Rock- und Popmusik und mit “Suffragette City” und “Rebel Rebel” fanden gleich zwei Songs ihren Weg in die Setlist.
Wenn man von Rock ‘n Roll Klassikern spricht, sind Songs von Alice Cooper himself natürlich auch in diese Liste aufzunehmen. So gab es im regulären Teil “I’m eighteen” und als letzte Zugabe “School’s Out”, sogar stilecht mit großen Ballons für das Publikum.