Massenkompatibel

Künstler der Herzen

Drei Tage nach dem ausverkauften Konzert in der LanxessArena hatte es uns erneut in die Rheinmetropole verschlagen. Auch dieses Konzert war ausverkauft, allerdings bietet das gemütliche Gloria nur geringfügig weniger Menschen Platz. Aber die Band ist nicht minder besonders wie die vier maskierten Amerikaner, denn der einzigartige Rainald Grebe hat seine Kapelle der Versöhnung wieder versammelt, um mit ihr das neue Programm “Die Band” zu spielen und mit den  Auftritten für das Großereignis in der Berliner Waldbühne Ende Juli zu üben. Nach dem überraschenden Tod des Schlagzeugers stand lange Zeit im Raum, die Kapelle aufzulösen, doch die drei anderen Musiker haben sich mit Markus Linkner, der sonst für Stars wie Alligatoah trommelt, Verstärkung geholt. “Der Onkel” hatte sichtlich Spaß an seiner Aufgabe hinter dem Schlagzeug und den Moderationen des Bandleaders. Trotz ein paar kleiner, technischer Probleme, wurde viel gelacht.

Eigentlich wollte ich den Bericht schreiben, ohne Rainalds Krankheit zu erwähnen, weil sie in jedem Bericht vorkommt. Auf der anderen Seite thematisiert er seine elf Schlaganfälle, und das wären nur die, die er gemerkt hat, im Programm. Um direkt auf den Rollator hinzuweisen, den ihm die Künstler-Krankenkasse bezahlt. Geschickt versteht er es, seinem Schicksal etwas die Dramatik zu nehmen, in dem er sie im Anschluß humoristisch einarbeitet und u.a. ein Lied über eine Seniorenresidenz für Künstler spielt. Weil die Krankheit zu Rainald gehört und er sie selber mehrfach erwähnte, schaffe ich es nicht, sie auszuklammern.

Die erste Hälfte besteht zum überwiegenden Teil aus neuen Stücken. Die Texte sitzen noch nicht, Rainald muß sie vom Blatt ablesen und wirkt nicht so frei wie gewohnt. Unweigerlich stellt man sich als Zuschauer die Frage, ob es an seiner Krankheit oder einfach daran liegt, daß er die Worte noch nicht so verinnerlicht hat. Vielleicht sind sie auch noch “Work in Progress” und er feilt während der Konzerte daran. Den Spaß an dem Abend nimmt einem das nicht. Dafür ist er zu sehr Zirkuspferd, der die Stimmung nicht absacken läßt. Zwischen den Liedern kommt er immer wieder hinter seinem Keyboard hervor, um mit seinem pfiffigen Lächeln am Bühnenrand amüsante Anekdoten zu erzählen. Sehr zu meiner Freude gehört die „Matthias Reim“-Geschichte dazu. Sein Techniker Franz wird selten angesprochen. Bei Rainalds Solo-Konzerten ist er fester Bestandteil der Inszenierung, am Abend im Gloria liegt das Hauptaugenmerk definitiv auf der Band und den Liedern.

Nach einer kurzen Pause betritt die Kapelle der Veröshnung die Bühne und startet in die zweite Hälfte des Abends. Hauptsächlich besteht der zweite Teil des Programms aus älteren Stücken. Dabei wirkt Rainald wesentlich freier und hat mehr Zeit, seine gewohnten Grimassen zu schneiden. Er sagt selber, sein Hirn sehe aus, wie ein Nudelsieb, aber die alten Stücken wären im Rückenmark gespeichert. Man merkt ihm den Spaß hinterm Keyboard an. Hits wie “Prenzlauer Berg” oder „Der Präsident“ werden im Gloria freudig aufgenommen. Bei den Erinnerungen an die “90er Jahre” oder das “20. Jahrhundert” werden sich einige Anwesende wiedergefunden haben. Rainald singt und schreit dabei wie gewohnt, immer dem Rat seiner Ärzte folgend, gefäßfreundliche Kunst zu machen. Und das hoffentlich noch lange, denn Rainald Grebe ist für die Kunst geboren, wie der Vogel zum Fliegen. Ein einzigartiger und ganz besonderer Künstler aus unserem Lande. Seine Lieder und Geschichten in Worte zu fassen und Außenstehenden verständlich zu machen, ist schwierig, wird mir gerade beim psychedelischen Refrain des neuen Liedes “Stadtanzeiger”(?) klar. Auch wenn er etwas anderes singt, „Massenkompatibel“ ist er nicht. Entweder man liegt mit dem frechen Frechener auf einer Wellenlänger oder nicht.

Am Ende verbeugen sich die vier Musiker artig und erhalten die verdienten Standing Ovations. Zweimal kommt die Kapelle der Versöhnung zurück, um jeweils zwei Zugaben zu geben, darunter die melancholischen Stücke “Burnout”, “Der Tod” und “Es ist gut”. Nach drei Stunden ist es dann wirklich gut und das grandiose Konzert findet ein umjubeltes Ende. Der Auftritt läßt freudige Gesichter vor und auf der Bühne zurück, denn alle Anwesenden sind sich einig, daß solche Auftritte ein Geschenk für beide Seiten sind. Sein nächstes Programm ist für 2024 vorgesehen. Denn auch für Rainald selber gilt sein Motto, dem er ein Lied gewidmet hat: “Der Bass muß laufen”.

Bilderbergwerk

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