Der Tag wird kommen…
…an dem ich Selig live sehen werde. Dessen war ich mir die ganzen Jahre bis zur Wiedervereinigung sicher. Aber daß sie dann so produktiv sein würden und ich innerhalb von vier Jahren so oft das Vergnügen haben würde sie live sehen und hören zu dürfen, wagte ich nicht zu träumen. Denn letzten Sonntagnachmittag machten wir uns bei trockenem und fast frühlingshaften Wetter (den eisigen Wind spürt man im Auto zum Glück nicht :-) ) auf dem Weg zu meinem fünften Konzert der sympathischen Hamburger.Wir waren früh genug, um vor der Halle noch etwas Schutz vor dem bitterkalten Wind und später einen guten Platz in der ersten Reihe zu bekommen. Die Hallenbelegschaft hatte ein Einsehen mit den bibbernden Fans und öffnete die Pforten in die Halle zehn Minuten vor 19.00 Uhr, dafür sollten Selig eine gute Viertelstunde zu spät anfangen. Naja, wahrscheinlich wollten sie noch die Tagesschau sehen. Zum Glück sind sie keine Tatort-Fans. :-)
Dafür verzichten Selig immer auf eine Vorband, was ich persönlich sehr begrüße. Mir ist ein langes Konzert der Hauptband wichtiger, als vorher einen Support, im schlimmsten Fall, ertragen zu müssen. Außerdem muß niemand das Publikum vor Selig aufwärmen, daß schaffen die Fünf ganz gut und ziemlich flott von alleine. :-)
Die Musik verstummte, die Bühne wurde dunkel und die Band betrat unter frenetischem Jubel die Bühne, allen voran Stoppel und Malte. Als alle Fünf ihre Plätze eingenommen hatten, begann das Konzert, wie das neue Album mit “Ich lüge nie”. Wie gewohnt steht Jan nicht still, rennt von rechts nach links, hüpft, tänzelt und vergisst dabei das Singen nicht. Das zweite Lied, “Sie scheint”, stammt ebenfalls von “Magma”. Die Band war sichtlich gut drauf, Christian bangte was das Zeug hielt und Malte schien es kaum hinter seinem Keyboard auszuhalten. Das Publikum taute mehr und mehr auf; spätestens beim dritten Lied, dem ersten musikalischen Lebenszeichen nach der Reunion, “Schau Schau”, sang die ganze Halle mit.
Das Bühnenbild war schlicht und bestand im Grunde nur aus einigen Lichtstreifen hinter den Podesten für Schlagzeug und Keyboard, die je nach Lied in anderen Farben leuchtete und dadurch die Stimmung der Stücke unterstütze. Und wie am Vorabend stand auch in Köln im Hintergrund, zwischen Keyboard und Schlagzeug, eine kleine Trommel. Ich hatte schon geschlussfolgert: “Köln + Trommel = Sie spielen bestimmt “Wenn et Trömmelchen jeht”, aber ich lag falsch.Denn nach Jan’s Frage “Ist es wichtig”, die die Halle immer mit “so richtig wichtig ist es nicht” beantwortete, verließ Stoppel den Platz hinter seinem Schlagzeug und spielte einen ruhigen, fast hypnotischen Rhythmus mit der einsamen Trommel. Jan nutzte die musikalische Untermalung um eine der wenigen Ansagen des Abends zu machen. So malte er mit Worten die Szenerie eines vorbeiziehendes Frachters, den man vom Ufer aus verfolgt, um in “Der Tag wird kommen” einzuleiten. Dem Lied folgten noch zwei weitere “Magma”-Stücke. Erst das ruhige “Zeit”, das zu meinem persönlichen Lied des Wochenendes geworden ist und “Bring mich heim”. Aber die Zeit für die Heimfahrt war noch nicht gekommen und so ging das Stück nahtlos in “5000 Meilen” vom Vorgängeralbum über. Mir haben die Übergänge und langen Intros ziemlich gut gefallen, auch wenn ich dadurch das ein oder andere Mal zu früh begonnen habe, mitzusingen. :-)
Da war ich allerdings nicht der Einzige, denn selbst Jan verpaßte einmal seinen Einsatz und zeigte lachend auf Malte, der die Schuld aber wieder zurückgab. Wie gesagt, die Band war sehr gut aufgelegt.
Die Bühne wurde während des Titelliedes des aktuellen Albums passend in organe-rotes Licht getaucht. Darauf folgte mit “Von Ewigkeit zu Ewigkeit” eines der schönsten Liebeslieder. Keine andere deutsche Band versteht es besser, Gefühle in unkitschige Worte zu packen und mit der passenden Melodie zu versehen.
Mit “Die alte Zeit zurück” beschwor Jan wieder geometrische Gärten, bevor mit “Bruderlos” das letzte Lied des regulären Sets gespielt wurde. Obwohl das Lied eigentlich eher ruhiger Natur ist, schien sich sämtliche verbleibende Energie zu entladen. Die Instrumente steigerten sich zum Ende zu einer den Raum ausfüllenden Klangkulisse und beendeten damit das Konzert (vorerst) vor einem ekstatischen Publikum.
Die fünf begeisterten Musiker verneigten sich abermals vor dem euphorischen Zuschauern, bevor sie wieder die Bühne verliessen. Die Zugabenrufe begannen und kurz darauf setzte sich Malte wieder hinter sein Keyboard um sich im orangen Licht einen zu orgeln. Also, um das Orgelintro zur ersten Singleauskopplung “Alles auf einmal” zu spielen. Ich finde es mutig, eine Single im Zugabenblock zu spielen, aber die Menge belehrte mich eines Besseren und sang wieder lautstark mit. Das war bei “Mädchen auf dem Dach” nicht anders. Und wie könnte man so einen besonderen Abend besser beenden als mit dem Versprechen: “Wir werden uns wiedersehen”? Die Fans nutzten die letzte Chance mitzusingen aus vollem Hals.
Die “Oh-ho”-Rufe des Publikums ebbten auch nicht ab, als die Band das dritte Mal die Bühne verließ. Bei der Beigeisterung ließen sie es sich natürlich nicht nehmen, noch einmal sehr angetan und dankbar vor die ausgelassenen Zuschauer zu treten. Nur Christian war mit einer akustischen Gitarre bewaffnet, Stoppel und Malte setzten sich vor das Keyboard, an das sich Malte lässig lehnte. Zuerst unterstützte Christian die “Oh-ho”-Rufe, die Jan anfeuerte, um die Halle dann mit einer akustischen Version von “Regenbogenleicht” wieder in die dunkle, kalte Nacht zu entlassen.
Bei der kleinen Clubtour im vergangenen November, auf der das neue Album komplett live gespielt wurde, hatte ich den Eindruck, daß Selig deutlich rockiger zu Werke gingen als gewohnt. Im Februar hielt ich dann endlich “Magma” in Händen und konnte die Scheibe in Ruhe genießen. Ich war überrascht, denn von Rock ist auf dem Album nur vereinzelt etwas zu spüren. Der neue Produzent hat ihnen sämtliche Ecken und Kanten abgeschliffen und die Lieder klingen fast durchweg zu glatt für eine Rockband. Eigentlich kaum vorstellbar, wenn man erleben darf, wie Selig ihren Liedern live Atmosphäre und Kraft verleihen. Das haben Sie auch am Sonntag eindrucksvoll und mit einer anscheinenden Leichtigkeit gute zwei Stunden lang geschafft. Und ich wage die Prognose, daß niemand auf oder vor der Bühne den Tatort an diesem Abend vermisst hat. :-)